5. Ranfter Klimagespräche 2023: Gutes Leben ohne Wachstum – unsere Zukunft in einer wachstumsunabhängigen Netto-Null Gesellschaft

Freitag, 16. Juni bis Sonntag, 18. Juni 2023

Die 5. Ranfter Klimagespräche beschäftigten sich mit der zentralen Fragestellung rund um das Thema Postwachstumsökonomie. Lebt der Mythos vom Wirtschaftswachstum noch? Wie viel Wachstum brauchen wir Menschen überhaupt und wie hoch sollte die Begrenzung des Wachstums sein, um eine klimaneutrale Zukunft zu gewährleisten?

Zu den geladenen Referierenden gehörten: Dr. Stephanie Moser vom Centre for Development and Environment der Universität Bern, Dr. Jan Bieser, Senior Researcher des Gottlieb Duttweiler Institut, Christian Lüthi von der Klima-Allianz Schweiz und Dr. Leonard Creutzburg von Degrowth Schweiz.

Durch das Programm führte die Journalistin und Moderatorin Catherine Duttweiler. Verantwortlich für die Gesamtkonzeption der Veranstaltung zeichneten Zoe Stadler, Vorstandsmitglied Trägerverein zentrumRANFT und Fachbereichsleiterin Power-to-Gas an der OST sowie Dr. Dominik Sigrist, Co-Präsident Verein Klimaschutz Schweiz sowie emeritierter Professor an der OST für Naturnahen Tourismus und Pärke.

 

Freitag, 16. Juni 2023

Die Veranstaltung startete um sechs Uhr abends bei schönem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen im Garten des zentrumRANFT unter den Linden mit einem Apéro. Es wurden gekühlte Getränke und vegetarische Häppchen gereicht. Nach der offiziellen Begrüssung der rund 30 Teilnehmenden durch Ursula Bründler Stadler, Geschäftsleiterin und Präsidentin des zentrumRANFT hiess Zoe Stadler als Projektverantwortliche der Klimagespräche die Gäste willkommen und fasste den aktuellen Stand der Klimadiskussion zusammen. Musikalisch umrahmt wurde die Auftaktveranstaltung mit einer Schlagzeug- und Percussion Darbietung von Aline Stadler (Schlagzeugerin und Perkussionistin) zuerst solo, dann im Duo mit Donat Kauffmann (Sänger und Gitarrist).

Der erste Abend fand seinen Ausklang mit einem gemeinsamen Abendessen im Speisesaal des zentrumRANFT.

 

Samstag, 17. Juni 2023

 

 

Nach dem Frühstück startete der Tag für alle Interessierte um kurz nach neun Uhr mit einer Führung von Ursula Bründler Stadler um das Haus und durch den Permakulturgarten. Nach einer kurzen Erklärung was Permakultur bedeutet, erläuterte Ursula die geplante Umgestaltung des Innenhofbereichs vor dem Haupteingang, welche eine weitere Begrünung u.a. mit einem Hildegard von Bingen-Kräuterbeet, Ruheliegen und einem Meditationsplatz vorsieht. Im weiteren Verlauf der Führung folgten Erläuterungen zu den entstandenen Obstbaumlebensgemeinschaften, der Kräuterspirale, zum Zisternenneubau hinter dem Haus, dem Gemüsegarten und dem Walipini. Fachlich unterstützt wurde Ursula Bründler bei der Führung von Mia Isenegger, die seit diesem Jahr für die Gartenpflege zuständig ist.

Danach begann die eigentliche Tagung im grossen Saal des zentrumRANFT. Nach einer Begrüssung der anwesenden Gäste durch die Moderatorin Catharine Duttweiler eröffnete Dr. Dominik Siegrist die Vortragsreihe mit einer Einführung zum Thema Wohlstand ohne Wachstum. Dabei verwies er auf verschiedene bedeutende Bücher, welche seit der im Jahr 1972 veröffentlichten Club of Rome-Studie «Grenzen des Wachstums» erschienen sind. Weiter betonte er, dass die Wachstums- und Klimadiskussion erst richtig an Fahrt im Jahr 2001 nach Ausstrahlung der Dokumentation «Ein unbequeme Wahrheit» des ehemaligen US-Vizepräsidenten, Klimaaktivisten und Multimillionärs Al Gore aufnahm.

Dr. Stephanie Moser, Umweltpsychologin am Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt an der Universität Bern beschäftigt sich in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit mit dem Thema Arbeitszeitreduktion und ihren Auswirkungen auf das Wohlbefinden in einer wachstumsunabhängigen Gesellschaft. Moser postulierte, dass es ein neues Verständnis von Arbeit und Tätigsein benötige. Damit der Ressourcen- und Energieverbrauch nachhaltig gesenkt werden kann, brauche es neue Modelle, die definieren, wie Arbeit zukünftig organisiert werden kann. Dabei sei erwiesen, dass kürzere Arbeitszeiten positive Effekte in sozialer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht haben. Weniger zur Verfügung stehendes Einkommen würde auch zu weniger Konsum führen und somit Ressourcen schonen. Eine der grössten Herausforderungen dabei bleibt dabei jedoch die Frage, wie die öffentliche Grundversorgung und das umfassende Sozialversicherungssystem weiterhin finanziert und aufrechterhalten werden könnten. Zudem sei auszuloten, ob eine Arbeitszeitverkürzung mit oder ohne Lohnausgleich erfolgen kann, wer weniger verdienen soll und wie eine faire Ausgestaltung aussehen könnte.

Dr. Jan Bieser ist Assistenzprofessor am Institut für Public Sector Transformation an der Berner Fachhochschule und beschäftigt sich in seiner Forschung mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Gesellschaft und die Umwelt. Sein Referat trug den Titel «Digitalisierung – Fluch oder Segen für den Klimaschutz». Eine verbreitete Annahme ist, dass digitale Anwendungen einen positiven Effekt auf die Einsparung von Energie, Emissionen und Ressourcen haben. Dieser Effekt stellt sich jedoch nicht von selbst ein. Beispielsweise bieten Videokonferenzen die Möglichkeit Flugreisen und die damit verbundenen Emissionen zu vermeiden. Es ist jedoch umstritten, ob Videokonferenzen tatsächlich zu einer Reduktion von Flugreisen führen. Zudem verursacht die Bereitstellung digitaler Produkte und Services selbst hohe Treibhausgas-Emissionen, wie zum Beispiel die Herstellung von Endgeräten wie Smartphones und Laptops sowie der Betrieb von Rechenzentren und Telekommunikationsnetzen. Grosse IT-Giganten verfolgen zwar Klimaziele, jedoch zeigen Untersuchungen, dass der Energieverbrauch von BigTech Unternehmen (z.B. Google oder Meta) trotz Energieeffizienzsteigerungen in der IT weiterhin steigt. Auch die künstliche Intelligenz verursacht hohe CO2-Emissionen und ihr Fussabdruck wird in Zukunft steigen. Daher muss resümiert werden, dass die Digitalisierung kein Selbstläufer für den Klimaschutz ist. Im Gegenteil, ohne gezielte Massnahmen, kann die Digitalisierung die Herausforderungen noch weiter verschärfen. Laut Bieser ist es notwendig, dass zukünftig in Politik und Wirtschaft Klima- und Digitalisierungsstrategien miteinander abgestimmt werden. Massnahmen können zum Beispiel Standards zur Energieeffizienz von Rechenzentren und von Software-Applikationen sein.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen startete die Tagung in eine zweite Runde. Christian Lüthi, Geschäftsleiter der Klima-Allianz Schweiz, erläuterte in seinem Vortrag die Resultate einer Studie von Fastenaktion, in der nach unterschiedlichen Ansätzen ein fairer Anteil der Schweiz am globalen Emissionsbudget berechnet wurde. Es bleiben der Menschheit noch 6 Jahre, bis das CO2-Budget für wahrscheinliche Einhaltung des 1.5°C Deckels komplett aufgebraucht ist. Für die Schweiz als reiches und früh industrialisiertes Land mit hohen importierten und indirekten Emissionen ist nach einem fairen Ansatz das CO2-Rest-Budget für 1.5°C längst aufgebraucht. Daher ist es laut Lüthi mehr als dringlich, im Klimaschutz in der nationalen, kantonalen und kommunalen Gesetzgebung das jeweils Bestmögliche zu erreichen und gleichzeitig für die durch die Klimakrise verursachten Schäden in armen Ländern aufzukommen. Er präsentiert Vorschläge des WWF und von Greenpeace für Governance-Systeme mit klaren Strukturen, Regeln und Kontrollen durch politische Institutionen. Lüthi stellte den Climate Ticker vor, ein schweizweites regionales Klima-Rating und eine Plattform, die es klimabewussten Personen und NGOs ermöglicht, wirkungsvoll und direkt in ihren Gemeinden und Kantonen aktiv zu werden. Projektstart ist im Oktober 2023. Abschliessend warb er für die Teilnahme an der nationalen Klima-Demo am 30.09. in Bern.

Dr. Leonard Creutzburg, Mitbegründer von Degrowth Schweiz, referierte über das Thema «Kann eine moderne Gesellschaft ohne Wachstum funktionieren?» und nahm zum Einstieg seines Vortrags die Antwort gleich vorweg: ja, sie kann! Dies steht konträr zum Ansatz des grünen Wachstums, bei dem die absolute Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Umweltverbrauch angestrebt wird – was empirisch aber unbewiesen ist. «Grünes Wachstum ist eine Hochrisikostrategie», so Creutzburg. Die Degrowth-Bewegung verfolgt demgegenüber das Ziel einer Transformation zu einem wachstumsunabhängigen Wohlergehen: Eine Postwachstumsgesellschaft ist nicht auf Wachstum angewiesen. Creutzburg erläutert auch das Modell der «Planetaren Grenzen» anhand der Doughnut-Ökonomie-Theorie von Kate Raworth: sechs von acht Grenzen sind bereits überschritten. Daher sei es wichtig, die Wachstumstreiber zu bremsen. Dabei impliziert Degrowth als politisches Konzept auch eine Depriviligierung des Globalen Nordens. «Ich würde auch mit Verboten agieren, da diese sehr effizient und gerecht sind», so Creutzburg.

Nach einer 30-minütigen Pause und der Gelegenheit am Bücherstand der Buchhandlung Dillier aus Sarnen Bücher zum Thema Klimawandel käuflich zu erwerben, lud Catharine Duttweiler die vier Referierenden zu einer abschliessenden Podiumsdiskussion ein. Hier ging es u.a. um die Frage, wie die Debatte des Postwachstums in die Politik gebracht werden kann, wo derzeit noch die Idee des grünen Wachstums vorherrschend ist. Die Referierenden sind sich weitgehend einig, dass ein neues Narrativ aufgebaut werden muss, welches mehrheitsfähig ist und so auch Unentschlossene und Gegner des Klimaschutzes zu überzeugen vermag. Dabei sollte ein neues Framing, sprich eine neue Kommunikationsstrategie (Beeinflussung der Realität) entwickelt werden, mit der es möglich ist, Dinge einzufordern, die bisher noch nicht möglich waren. Laut Lüthi sollte der Druck auf die Politik insbesondere nach einem Ja für das Klimaschutzgesetz erhöht werden, um Massnahmen und Verbote möglichst bald umzusetzen. Auf die Frage, ob es noch Bereiche gibt, die zukünftig wachsen dürfen, zählt Creutzburg die erneuerbaren Energien und die Medizintechnik auf. Für Lüthi ist klar, dass der Wohlstand in der Gesellschaft abnehmen muss, damit die Menschen in den Entwicklungsländern vor Klimahitze geschützt werden. Die Podiumsdiskussion erfreute sich reger Beteiligung aus dem Publikum.

Nach dem gemeinsamen Abendessen beginnt um 20:00 Uhr das Konzert von Vera Kappeler (Klavier) und Peter Conradin Zumthor (Schlagzeug) im grossen Saal.

Sonntag, 18. Juni 2023

Zum Abschluss der Ranfter Klimagespräche führte Noah von Matt von der Klimagruppe Nidwalden die Tagungsteilnehmenden wandernd nach Sarnen. Unterwegs gab er regelmässig Denkanstösse zur Postwachstumsthematik und die Wandernden diskutierten ausführlich. In Kerns stand ein Besuch eines Selbsterntegartens auf dem Programm. Dort erläuterte Bäuerin Irene die Erfolge und Schwierigkeiten des Aufbaus ihres Selbsterntegartens, bei welchem die Abonnenten des Gemüseabos ihr Gemüse selber ernten. Diese lernen dabei den Rhythmus der Landwirtschaft kennen und ebenso, wie das Gemüse auf dem Feld aussieht. Nach dem Besuch des Gartens wanderte die Gruppe weiter nach Sarnen, ab wo die Teilnehmenden dann ab dem Bahnhof individuell ihren Heimweg antraten.

Impressionen 

Freitag, 16. Juni 2023  

18:00 – Tagungsstart

Begrüssung und Input zum aktuellen Stand der Klimadiskussionen
Zoe Stadler

Musikalischer Auftakt 
Aline Stadler, Schlagzeug und Perkussion

Apéro

19:30 – Abendessen

Samstag, 17. Juni 2023

Tagesmoderation: Catherine Duttweiler, Journalistin und Dozentin

8:15 – Frühstück

9:15 – Permakultur – Erläuterungen zum Projekt und Rundgang durch den Permakulturgarten mit Ursula Bründler Stadler

10:15 – Referate, erster Teil

Wohlstand ohne Wachstum? Eine Einführung.
Dominik Siegrist, Co-Präsident Verein Klimaschutz Schweiz

Arbeit und Wohlbefinden in einer Gesellschaft ohne Wachstum?
Stephanie Moser, Centre for Development and Environment, Universität Bern

Digitalisierung: Fluch oder Segen für den Klimaschutz? 
Jan Bieser, Senior Researcher, Gottlieb Duttweiler Institut

12:15 – Mittagessen

14:00 – Referate, zweiter Teil

Wo stehen wir politisch auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft? 
Christian Lüthi, Klima-Allianz Schweiz

Kann eine moderne Gesellschaft ohne Wachstum funktionieren?
Leonard Creutzburg, Degrowth Schweiz

15:30 – Pause

16:00 – Gespräch mit den vier Referierenden : Wie könnte eine Netto-Null-Gesellschaft aussehen? 

18:30 – Abendessen

20:00 – Konzert 
Vera Kappeler und Peter Conradin Zumthor

Sonntag, 18. Juni 2023

9:00 – Thematischer Spaziergang und Abschluss
Spaziergang mit Inputs zu Arbeitszeitverkürzung und Post-Wachstumswirtschaft, mit anschliessendem Besuch eines Selbsterntegartens. Organisiert durch die Klimagruppe Nidwalden. Start um 9 Uhr in Flüeli-Ranft, gemeinsamer Abschluss gegen Mittag in Sarnen.

Referierende und Musiker

Dr. Stephanie Moser leitet den Bereich „Just Economies and Human Well-Being“ am Centre for Development and Environment der Universität Bern.

Dr. Jan Bieser ist Senior Researcher und Speaker am Gottlieb Duttweiler Institut. In seiner Forschung untersucht er Chancen und Risiken der Digitalisierung für Gesellschaft und Umwelt.

Christian Lüthi ist Geschäftsführer der Klima-Allianz Schweiz, die ein Bündnis von mehr als 140 Organisationen der Zivilgesellschaft ist und sich für eine ehrgeizige, nachhaltige und faire Klimapolitik in der Schweiz einsetzt.

Dr. Leonard Creutzburg ist Mitbegründer von Degrowth Schweiz. Er arbeitet an der Universität Zürich im Nachhaltigkeitsteam sowie als Postdoc im Bereich Suffizienz und Postwachstum.

Catherine Duttweiler ist eine erfahrene Journalistin und Dozentin, und führt als Moderatorin durch das Programm der 5. Klimagespräche.

Aline Stadler ist Schlagzeugerin und Perkussionistin und wird am Freitagabend den musikalischen Programmpunkt gestalten.

Die Pianistin Vera Kappeler und der Schlagzeuger Peter Conradin Zumthor sind bekannt für ihre bild- und wortgewaltige Musik, die zwar ohne Bilder und Worte auskommt, diese aber unwillkürlich in den Köpfen des Publikums entstehen lässt.

Konzeption und Gesamtleitung

Prof. Dr. Dominik Siegrist ist Geograf und Landschaftsplaner sowie Co-Präsident des Vereins Klimaschutz Schweiz.

Zoe Stadler ist Ingenieurin und leitet an der OST den Fachbereich Power-to-Gas und den Klimacluster. Sie ist im Vorstand des Vereins Klimastadt Zürich und des Trägervereins zentrumRANFT.